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Superar – wundervolles Projekt an Schweizer Schulen

30.11.2020

«Superar» bewegt: Tutor Paolo Vignoli bei einer «Superar»-Lektion an der Primarschule Feuerthalen vor den Herbstferien. Bild Gisela Zweifel-Fehlmann

Musik gegen Armut, für Selbstbewusstsein und Hoffnung – mit diesem Ansatz wurde das Projekt «Superar» in Venezuela gegründet. Von dem Konzept profitieren auch an der Primarschule Feuerthalen Kinder in ihrer musikalischen Grundbildung. Von Gisela Zweifel-Fehlmann

Unter dem Begriff «El Sistema» wurde «Superar» 1975 in Venezuela von José Antonio Abreu (1939–2018) gegründet. Durch sein Netzwerk von Kinder- und Jugendorchestern ebnete der Komponist, Ökonom, Politiker, Erzieher und Aktivist vielen Kindern und Jugendlichen einen Weg aus der Armut. Auch der berühmte Dirigent Gustavo Dudamel ging daraus hervor. Berührende Filmdokumentationen erschienen im deutschen Fernsehen (auch im Buchhandel oder als Filmtrailer im Internet): «The Promise of Music – Der Klang der Hoffnung» (2008) oder «El Sistema – Musik, die das Leben verändert» (2009).

«El Sistema» etablierte sich später auch in Europa unter der Bezeichnung «Superar», von spanisch superar (überwinden, über sich hinauswachsen) durch den Leiter der Wiener Sängerknaben Gerald Wirth (2009). Dort werden die «Superar»-Tutorinnen und -Tutoren aus ganz Europa aus- und weitergebildet, professionell ausgewiesene Musikpädagogen und -pädagoginnen.

«Superar Suisse» entstand 2011. Der gemeinnützige Verein beruht auf einer europäischen Initiative und ermöglicht Kindern und Jugendlichen – unabhängig von Herkunft oder sozioökonomischem Hintergrund – einen freien Zugang zu Musik und kultureller Bildung als Beitrag zur Völkerverständigung und zur gesellschaftlichen Integration. Der Schulunterricht findet im regulären Stundenplan und/oder in freien Kursen statt.

«Superar» basiert auf drei Säulen, um Chor, Orchester und Tanz im täglichen Leben von Kindern und Jugendlichen je nach örtlichen Gegebenheiten zu verankern. Der Unterricht findet mehrmals die Woche – bis zu viermal (!) bei ausgewiesenen Superar-Tutoren statt. Stets wird in der Gruppe musiziert, zum Abschluss der Woche in der Grossgruppe. Dies bewirkt ein Erlebnis der Gemeinschaft, Harmonie und Empathie und hilft, eigene Grenzen zu überwinden. Es gibt «Superar»-Orchester in Zürich, Basel und Lugano, «Superar»-Chöre in Feuerthalen, Winterthur-Sennhof, Basel, Rottenschwil (AG) und Lugano. Orchester erfordern bis zu acht Tutorinnen oder Tutoren, Chöre eine oder einen. Der «Superar»-Unterricht ist kostenlos, für das Zusatzangebot des ausserschulischen «Superar»-Chors wird ein geringer Beitrag erhoben. Bei den Orchestern (ausserschulisch) ist er infolge des grösseren Aufwands etwas höher.

Unvergessliche Erlebnisse für Kinder und Angehörige sind Abschlusskonzerte in der Tonhalle Zürich und im LAC Lugano, Auftritte in der Elisabethenkirche Basel von bis zu 500 Kindern aus der ganzen Schweiz, Camps im Ausland (Salzburg, Wien) und die Beteiligung am «Lucerne Festival» oder am «Offenen Weihnachtssingen» in der Tonhalle und am «Christmas Tree» in Zürich ­(sofern keine einschränkenden Schutzkonzepte vorgeschrieben sind). Das Zusammenspiel von öffentlichen Institutionen, Schul­lei­tun­gen, Eltern, Schülerinnen und Schülern, Tutorinnen und Tutoren, Freiwilligen, Management und unterstützenden Veranstaltern macht dies möglich.

Jeder ist anders und jeder ist gleich wichtig! Verschiedene Kulturen, Stile, Sprachen, auch klassische Musikwerke, werden neben Volksliedern, Pop-Songs mit Schwerpunkt auf qualitativ hochstehender Musik lustvoll den Kindern nähergebracht. «Superar» bietet auch Module für Fortgeschrittene unter hohen künstlerischen Massstäben.

 

Beispiel Primarschule Feuerthalen

Jacqueline Stauber, die Schulleiterin der Primarschule Feuerthalen, wurde in der Schulleitungsausbildung auf das Klassenmusizieren aufmerksam gemacht. Sie gelangte mit ihrer Vision, den Musikunterricht an ihrer Schule weiterzuentwickeln, an Fridolin Gallati (Leiter der Musikschule Weinland Nord), der sie auf «Superar» hinwies. 2014 besuchten sie ein «Superar»-Konzert in Winterthur-Sennhof und nahmen Kontakt mit dem Tutor Paolo Vignoli auf. Eine Machbarkeitsstudie zeigte, dass das Projekt durch verschiedene glückliche Umstände nahezu kostenneutral ermöglicht werden kann.

Paolo Vignoli war bereit, die Stunden der Musikalischen Grundschule an den ersten und zweiten Klassen in verschiedenen Gruppen zu übernehmen sowie eine zusätzliche Musiklektion im Teamteaching mit der betreffenden Lehrperson. Seine Anstellung läuft über die Musikschule Weinland Nord, eine weitere Lektion wird eingekauft. Die Kosten für gelegentliche Korrepetitionen werden durch den Verein oder durch Sponsoring abgedeckt. Mittlerweile gibt es auch einen ausserschulischen «Superar»-Freiwilligenchor von der ersten bis zur sechsten Klasse. Er fand grossen Zuspruch, bis die Corona-Schutzmassnahmen in Kraft traten. Manche Kinder besuchten ihn zusätzlich (am Donnerstagmorgen früh um halb acht Uhr!) zum schulischen Unterricht. Der Chor kostet jährlich 90 Franken pro Kind unter Berücksichtigung jeweiliger ökonomischer Umstände, oder wenn mehrere Kinder einer Familie mitsingen.

Die Autorin besuchte vor den Herbstferien, als noch keine Sicherheitsverordnungen existierten, den Unterricht bei Paolo Vignoli. Nur über die universelle Sprache der Musik, ohne gesprochene Worte, wusste er die Kinder abzuholen. Mit Empathie, Fantasie und stufengerechtem Einfühlungsvermögen lehrte er sie Stimm- und Atemübungen. Seine geschulte Singstimme (auch in der hohen Stimmlage) ist nachahmenswert. Er begleitete und variierte am Klavier; Body-Percussion und Klatschen gingen lustvoll Schlag auf Schlag. Man sang ein- und mehrstimmig in mehreren Stilen und Sprachen, gemeinsam und grüppchenweise, bewegte und stellte sich in verschiedenen Anordnungen auf, rappte im Sprechchor, agierte mit Händen und Füssen frisch «by Heart» – ohne Noten- oder Textblätter – auf erstaunlichem Niveau. Abgesehen vom gemeinsamen Gesang und vom Freiwilligenchor findet das Projekt auch weiterhin statt. Die Kinder waren sich ihrer anspruchsvollen Aufgabe kaum bewusst – ihre glücklichen Gesichter jedoch waren selbstredend.

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